Karl Schleinkofer – Ohne Titel, 2014/15

Karl Schleinkofer – Werkschau

März – April 2018

»Im unmittelbar gezogenen, noch mehr im ‚verunglückten’ unvollständigen Strich, im noch nachfühlbaren Druck des Stiftes auf dem Papier wird ein aufmerksamer Betrachter dem Wiederaufleben der oder des Ausführenden noch einmal ansichtig. Die Zeit scheint an diesem Punkt stehen geblieben zu sein, und nicht das Abgebildete ist jetzt das Wirkliche, sondern die Abbildung.

Alles Vergangene war einmal Gegenwart, und es trifft auch zu, dass es noch gegenwärtig ist. Es enthält einen Hinweis, der nicht nur Verweis der Vergangenheit auf die Gegenwart ist, sondern auch entgegengesetzt eine Mitteilung der tatsächlichen Gegenwart auf eine Welt, in der die Vergangenheit mit der Gegenwart simultan ist. Das Bild als simultanes zeitliches wie auch räumliches Gebilde dient der Persönlichkeit als Stempel, welcher den gegenwärtigen Abdruck seiner unmittelbaren Existenz dokumentiert.

Ein Strich ist sofort da, man kann ihn nicht machen, man soll ihn aus dem eigenen Rhythmus heraus annehmen. Es ist eine Form des bedingungslosen Sich-Einlassens und der anhaltenden Verausgabung mit dem Ziel, das analytisch kontrollierende, Besitz ergreifende Denken aus der Bahn zu werfen. Angelehnt an das regellose Leben, welches ohne ersichtlichen Grund, ohne kalkulierte Sicherheit, ohne rechtfertigenden Vorwand agiert: ganz einfach Zeuge der Mächtigkeit des Augenblicks in seinem Wandel zu sein.«

Karl Schleinkofer, in: »Wiederstand der Gegenwart«, Katalog März 2015

Karl Schleinkofer wurde 1951 in Passau geboren. Er studierte bei Hermann Kaspar und Hans Baschang, dessen Assistent er war. Seit 1983 hat er diverse Lehraufträge an der Universität Passau inne. Schleinkofer lebt und arbeitet in Passau, zuletzt widmete die Städtische Galerie Cordonhaus in Cham ihm und Hans Baschang eine umfassende Werkschau.

Auszeichnungen: Graduiertenstipendium der Akademie der Bildenden Künste, München (1988); Herbert Boeckl-Preis, zuerkannt von Cy Twombly und dem Rupertinum, Salzburg (1996); Jahrespreisträger für Bildende Kunst der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, München (1999); Stipendiat des lnternationalen Künstlerhauses Villa Concordia, Bamberg (2000–2001).

Karl Schleinkofer (geb. 1951)
Ohne Titel, 2014/15
Graphit auf Papier
108 x 78,5 cm