Rudolf Wachter – Studie zu »Licht über Fröttmaning«, 2004

Rudolf Wachter – Zeichnungen und eine Skulptur

September – Oktober 2005

Rudolf Wachter gilt zu Recht als bedeutendster Holzbildhauer der Gegenwart. Seine Arbeiten sind aus dem Stamm gesägte Skulpturen; seine grundlegenden Gestaltungsprinzipien sind der Schnitt und der einkalkulierte Schwund bzw. die gesteuerte Verformung des Materials durch die Trocknung des Holzes. Die »Mitarbeit der Natur« wird dadurch »zum bildnerischen Ereignis«. In den ersten Jahren erinnerten die bearbeiteten Stämme an Werke der minimal und concept art. Die neueren Skulpturen nehmen sich aus wie »runde und eckige Paraphrasen« der Jahresringe. »Den ersten herausgesägten Ringen folgten Spiralen, die sich in unverschämter Leichtigkeit zu drehen schienen und bald schon zu gegenläufigen Parallelbewegungen ansetzten.« Als Gegenpol zu diesen frei beweglich scheinenden Skulpturen entstanden schwere Wandreliefs mit vorzugsweise geometrischen Formen

In der Ausstellung der Galerie Sundheimer zur Open Art 2005 steht zum ersten Mal das zeichnerische Werk Rudolf Wachters im Mittelpunkt. Wir zeigen in Auszügen zwei Serien, die beide Beobachtungen von und an Architektur zum Ausgangspunkt ihrer zeichnerischen Variationen nehmen. Eine der Serien widmet sich einem stets gleich bleibenden Motiv: die Heiligkreuz-Kirche in Fröttmaning. Aber es geht gar nicht um die Erfassung dieses konkreten Motivs aus unterschiedlichen Perspektiven: Studie zu Licht über Fröttmaning hat Rudolf Wachter diese Zeichnungen genannt.

Warum führt jemand eine solche Studie als Bleistiftzeichnung aus – warum nicht als farbiges Aquarell? Die Antwort ist Wachters Interesse an der Form. Und hier gilt es der Frage »Wie kann, wie muss Form aussehen, die Licht Gestalt verleihen kann?«

Als Bildhauer lässt sich Rudolf Wachter »bei der Formentwicklung ausschließlich von den im Holz ruhenden Möglichkeiten und den zu erwartenden Mutationen des Materials lenken.«

Die aktive Rolle des Künstlers spielt bei den Zeichnungen eine weitaus größere Rolle: ein weißes Blatt Papier ist ein anderer Ausgangspunkt und vermutlich ein noch spröderer Partner in der künstlerischen Zusammenarbeit als ein Stamm, zumal Wachter dessen Eigenschaften nach Jahrzehnten bildhauerischer Tätigkeit bestens bekannt sind.

Verglichen mit frühen Zeichnungen Wachters, die Aktstudien und Impressionen aus Griechenland festhalten, offenbaren die neueren Zeichnungen deutlich das gleiche künstlerische Denken, mit dem Wachter aus dem Holz seine konzeptionell-strengen oder dynamischen Skulpturen herausarbeitet. Nicht nur, weil auch sie Zeugnisse und Ergebnisse seiner Suche nach Aufbau und Form sind, die auf ihr Medium reagiert und für das, was am Dargestellten interessiert, das größte Potential bietet. Sondern auch, weil sie sich offen geben für alle Möglichkeiten und nichts vorwegnehmen. Nichts übernimmt in den Zeichnungen eine feste Funktion – weder die freie Fläche oder die dichte Schraffur noch eine einzelne Linie oder die weit gezogenen, elegant geschwungenen Bögen.

Besonders als Serie gesehen, sind die Zeichnungen souverän und konsequent durch die sparsame Anwendung ihrer sensibel erschlossenen Mittel – die so eingesetzt sind, dass sie das Medium Zeichnung authentisch hervortreten lassen.

Für Rudolf Wachter »muss Form funktionieren«. Die oft kargen, skizzenähnlichen Zeichnungen legen nahe, dass die funktionierende Form keine Frage des Hinzufügens, sondern des Wegnehmens ist – wie bei seinen Skulpturen aus dem Stamm.

Die in den ersten drei Abschnitten des Textes in Anführungszeichen gesetzten Satzteile und Passagen sind Zitate aus dem Artikel von G. Knapp: Der Naturkraft eine Form geben, erschienen im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung, 18. Mai 2005

Rudolf Wachter (1923–2011)
Studie zu »Licht über Fröttmaning«, 2004
Bleistift auf Papier
24,5 x 33,5 cm